Entwurzelt – Flucht aus Pommern -23-

 

Flucht aus Pommern

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Gen Westen

Hanni hatte eine kleine Skizze auf einer Zigarettenschachtel als Landkarte in der Hand. Es waren die einzigen Anhaltspunkte, ein kleiner Fluss, eine Brücke, ein Waldstück, eine Chaussee, ein Kohlenbergwerk. Da mussten wir hin! Solange uns noch Menschen begegneten, konnten wir fragen. Der Weg zog sich sehr lange. Meine Tante hatte uns in Berlin ein Tütchen Zucker in die Tasche gesteckt. Von Richtpunkt zu Richtpunkt verteilten wir in 7 Mäulchen einen Teelöffel voll. Schmeckte herrlich und war zugleich eine kleine Kalorienaufwertung. Hinter einem Waldstück arbeiteten Leute auf dem Felde. Wieder eine Erkundungsmöglichkeit. Wir wurden von ihnen über unseren Mut, hier durchzukommen, bewundert. Es sei doch hier gespickt voller Russen! Sie zeigten auf die Wachtürme, auf denen Wachen mit Ferngläsern postierten. Ob wir Mut hatten, war wohl fraglich. Aber unser Überlebungswille gab uns die Kraft, geradeaus, Richtung englische Zone weiter zu marschieren. Nach längerem Marsch kamen wir an eine steil abfahrende Böschung. Hier ging es nicht weiter, denn unten schauten wir auf mehrere Schienenstränge. Was nun? Hanni lief in ein allein stehendes Haus, um Rat zu holen. Wir, die fünf Kinder und ich, versteckten uns dicht an der Böschung und warteten auf ihre Rückkehr. Drei bewaffnete russische Soldaten holten uns aus unserem Versteck. Sie hatten uns mit Ferngläsern beobachtet. „Wo sind die Papiere. Zurück, zurück. Bevor wir in größere Konflikte mit ihnen kamen, war Hanni schon bei uns. Sie zeigte ihnen irgendein Papier und legte oben drauf einige türkische Zigaretten. Der Bann war gebrochen! Sie reagierten freundlich, alle drei Soldaten steckten sich sofort eine Zigarette an. In dieser Phase gab Hanni uns ein Zeichen: „Los, runter, nach unten!“ 

Wir landeten alle 7 Personen unten auf den Schienensträngen. Wie wir das Abrutschen der steilen Böschung ohne größeren Schaden überstanden hatten, wussten wir selber nicht! Mehrere Bahnleute gaben laute Signale und holten uns aus den elektrisch geladenen Bahnschienen heraus. Sie erzählten uns von größter Lebensgefahr und waren alle sehr aufgeregt. Wir konnten zuerst nicht unterscheiden, was für uns schlimmer war, oben auf der Böschung oder hier unten. Wir fragten die uns helfenden, deutschen Bahnleute, „Wo sind wir?“ und sie sagten, „in der englischen Zone.“ WIR HATTEN ES GESCHAFFT!

Die uns helfenden, deutschen Bahnleute brachten uns in ein, in der Nähe liegendes, englisches Auffanglager. Bevor wir Einlass bekamen, wurden wir von englischen Soldaten in ein großes Zelt gebracht. Die englischen Soldaten gingen korrekt, hilfsbereit und menschlich mit uns um. Wir spürten einen Unterschied wie Tag und Nacht. Hier fühlten wir uns das erste mal beschützt, unsere Angst wurde kleiner. Wir dankten diesem englischen Auffanglager und den englischen Soldaten. In dem großen Zelt wurden wir von Kopf bis zu den Füßen mit weißem Pulver desinfiziert. Danach bekamen wir 7 Schlafplätze im Lager zugewiesen. Jeder, auch die Kinder, einen eigenen Schlafplatz! So etwas hatten wir ein ganzes Jahr nicht mehr erlebt! Jeder bekam eine heiße Suppe und jedes Kind eine große Tasse Milch mit Brot. Diese Nacht schliefen wir das erste mal ohne Angstträume. Am nächsten Morgen durften wir im Waschraum alle warm duschen, für uns eine unglaubliche Wohltat. Danach gab es warme Suppe und frisches Brot. Zwei Tage und Nächte waren wir hier und hatten hier, im englischen Auffanglager, neuen Lebensmut aufgetankt. DANKE!

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