Flucht und Vertreibung

 

Empfehlenswerte Literatur:

Die Worte „Flucht und Vertreibung“ wurden zum Synonym einer Tragödie, welche sich am Ende des Zweiten Weltkrieges in den deutschen Ostgebieten abspielte. Mehr als 15 Millionen Menschen waren auf der Flucht oder suchten eine neue Heimat.

Vorspiel: Herbst 1944 in Ostpreußen

Parallel zum sowjetischen Vormarsch Richtung Westen bildeten sich ab Oktober 1944 in Ostpreußen gewaltige Flüchtlingstrecks, welche der Roten Armee zu entkommen suchten. Auslöser waren Schreckensmeldungen über an Zivilisten begangenen Greueltaten durch russische Soldaten. Das Leid, welches der russischen Bevölkerung während des Russlandfeldzuges durch die deutsche Wehrmacht zugefügt wurde, rächte sich nun grausam an deutschen Zivilisten. Der Fund von 65 verstümmelten Leichen bei der Ortschaft Nemmersdorf verbreitete sich wie ein Lauffeuer und stärkte nicht, wie Goebbels hoffte, den Durchhaltewillen der Bevölkerung, sondern löste Panik aus. Durch die deutsche Durchhalte-Propaganda wurde die rechtzeitige Evakuierung der Menschen jedoch bis zuletzt unter Androhung von Strafe hinausgezögert und resultierte schließlich in ungeordneter Flucht inmitten militärischer Kampfhandlungen. Dem Oktober 1944 folgte eine gut 10wöchige militärische Atempause an der deutsch-russischen Front, die die deutsche Bevölkerung in trügerischer Sicherheit wiegte. Es war die „Ruhe vor dem Sturm“. 

Winteroffensive 1945

In den letzten Wochen des Jahres 1944 konzentrierte das sowjetische Oberkommando auf einem 1000 km langen Abschnitt insgesamt sechs Fronten. Von Hitler als Bluff abgetan, fand hier ein Aufmarsch von gigantischem Ausmaß statt. Allein auf Ostpreußen und das Mündungsgebiet der Weichsel wurden 130 Schützendivisionen mit 1,7 Millionen Soldaten angesetzt. Zwischen dem 12. und 14. Januar 1945 vollzog sich in zeitlicher Staffelung der Auftakt zur gewaltigsten Offensivoperation des II. Weltkrieges. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 70 km am Tag drangen die 1., 2. und 3. weißrussische Front durch die schwachen deutschen Verteidigungsstellungen in Polen und Ostpreußen Richtung Pommern vorwärts, sodass bis zum März keine geschlossene deutsche Abwehrfront mehr stand. Damit war die deutsche Bevölkerung der gesamten Kampfregion zwischen Oberschlesien im Süden und Ostpreußen im Norden hilflos der mit ungeheurem Tempo auf sie zurollenden Kriegsmaschine ausgeliefert. 

Ostpreußen abgeschnitten

Spätestens mit dem 22. Januar war der Zugverkehr Richtung Westen unterbrochen. Der pferdebespannte Treck oder der bloße Fußmarsch durch Kälte und Schnee wurde nun zum letzten Ausweg. Als der Vorstoß der sowjetischen Truppen an die südliche Haffküste am 27. Januar Ostpreußen vom Reich trennte und den westlich ziehenden Flüchtlingsstrom nach Norden drängte, kam es zu dramatischen Stauungen und Menschenansammlungen, in die hinein noch die sowjetischen Truppenverbände stießen. Von diesem hart umkämpften Gebietsschlauch aus, dem sog. Heiligenbeiler Kessel, machten sich Anfang Februar hunderttausende Flüchtlinge auf den Weg über das Eis des Frischen Haffs in Richtung Danzig und Hinterpommern. Eiseskälte, Hunger sowie sowjetischen Tiefflieger-Angriffen ausgesetzt, verloren tausende hierbei ihr Leben. Ganze Trecks verschwanden nach Bombentreffern unter dem Eis.

Gewalttaten gegen Zivilisten

Ob in ihren Heimatortschaften zurückgeblieben oder auf dem Treck unterwegs von sowjetischen Truppen eingeholt: Die deutsche Bevölkerung östlich von Oder und Neiße erlebte in den Wochen und Monaten nach dem Januar 1945 eine Zeit blutigster Ausschreitungen und schlimmster Drangsalierungen. Plünderungen, Brandschatzungen, sinnlose Zerstörungen, Vergewaltigungen und willkürliche Tötungen waren nahezu unterschiedslos im gesamten Operationsraum zwischen der Ostseeküste und dem schlesischen Bergland an der Tagesordnung. Das, was sich im Oktober des Vorjahres in Nemmersdorf angedeutet hatte, wurde nunmehr zum Massenphänomen. Was gerade Frauen in dieser Zeit durchmachten, kann mit Worten kaum wiedergegeben werden. Viele verzweifelte Einwohner, ja ganze Familien begingen aus Furcht vor den Gewaltexzessen angetrunkener Soldaten Selbstmord. Stalin selbst war es, der im April 1945 durch eine Direktive an seine Truppen endlich ein besseres Verhalten gegenüber der deutschen Bevölkerung forderte. Für die Menschen im deutschen Osten kam dies jedoch zu spät.

Situation in Pommern

Im Januar 1945 dürften rund 800.000 Flüchtlinge aus Ostpreußen die Flucht nach Danzig und Pommern gelungen sein. Der immer größer werdende Flüchtlingsstrom aus dem Osten verstopfte Städte und Straßen. Als sowjetische Truppen Ende Februar keilförmig zur Ostseeküste bei Kolberg durchstießen, wurde der pommersche Küstenraum in zwei Teile aufgespalten. Dem nach Westen drängenden Flüchtlingsstrom wurde der Weg abgeschnitten. Die letzte Rettung waren jetzt die Häfen Danzig und Gdingen (Gotenhafen).

Flucht über die Ostsee

Ende Oktober 1944 hatte sich die Lage an der Ostseefront weiter zugespitzt. Aus dem „Nebenkriegsschauplatz Ostsee“ war inzwischen ein Hauptkriegsschauplatz geworden. Seit dem Beginn der sowjetischen Winteroffensive stauten sich in Danzig und Gotenhafen immer größer werdende Flüchtlingsmassen, deren einziger Ausweg die Flucht über das Meer war. Die deutsche Kriegsmarine sah sich nahezu unvorbereitet mit dem logistischen Problem konfrontiert, hunderttausende Menschen transportieren zu müssen. Ohne jede Vorplanung, in einem Akt der Humanität, wurden in der „größten Rettungsaktion der Seegeschichte“ bis zum Mai 1945 mit über 1000 Handels- und Kriegsschiffen mehr als 2,5 Millionen Menschen aus dem Ostseeraum evakuiert. Traurige Berühmtheit erlangte der Luxusdampfer „Wilhelm Gustloff“, der am 30. Januar 1945, von drei russischen Torpedos getroffen, in der Ostsee versank. Bei dieser größten Schiffskatastrophe der Geschichte starben über 9000 Menschen.

Vertreibung

Im Juli 1944 schlossen Moskau und das polnische Lubliner Kommitee ein Geheimabkommen über die polnische Westgrenze an Oder und Neiße sowie die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich dieser Linie. Ermuntert von der Sowjetunion, jedoch ohne westliche Zustimmung, begannen Polen und die Tschechoslowakei daraufhin im Frühjahr 1945 mit den „wilden“ Vertreibungen der deutschen Bevölkerung. Diese Phase war begleitet von brutalsten Übergriffen und Ausschreitungen, in denen sich der gegen die vorangegangene deutsche Gewaltherrschaft in Osteuropa aufgestaute Hass entlud. Per Dekret verloren die Deutschen sämtliche Rechte sowie ihr Vermögen, was die Vertreibung beschleunigen sollte. Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 wurde offiziell von allen Siegermächten die Neuordnung Deutschlands beschlossen, die u.a. die „ordnungsgemäße Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ in „humaner Weise“ vorsah. Trotz wiederholter Kritik der Amerikaner kam es jedoch besonders in Polen und der Tschechoslowakei auch weiterhin zu Vertreibungen unter grausamsten Umständen, in deren Verlauf letztendlich rund zwei Millionen Menschen den Tod fanden. 

Eine neue Heimat

Über 15 Millionen Deutsche, vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, suchten nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat. Die Länder und Gemeinden im Westen standen vor der Herausforderung, diese Menschen nach ihrer Ankunft mit Lebensmitteln und Unterkünften versorgen zu müssen. Da durch den Krieg großer Wohnungsmangel herrschte, wurde in den Nachkriegsjahren der Bau von Notunterkünften und Neubau-Siedlungen forciert. Es war auch die Zeit der Zwangseinquartierungen, die zu Konflikten mit der ansässigen Bevölkerung führte. Die Neuankömmlinge waren „die aus dem Osten“ oder wurden als „Pollacken“ beschimpft. Doch bis in die fünfziger Jahre gelang all diesen Menschen mit gemeinsamer Kraftanstrengung, parallel zum Wirtschaftswunder, auch dieses „Integrationswunder“. Heute haben sich Heimat- und Familienforschungs-Vereine das Ziel gesetzt, die Erinnerung an die ehemals deutsche Heimat im Osten sowie deren Traditionen zu bewahren.

Einen ergreifenden Zeitzeugenbericht finden Sie unter Entwurzelt – Die Flucht aus Pommern. Hermine Mittag floh als 19jährige aus Pommern in den Westen und hat ihre Erinnerungen in einem Erlebnisbericht festgehalten.

Empfehlenswerte Literatur:

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Sowjetische Grossoffensive 1945Das Pferdefuhrwerk war wichtigstes Transportmittel für die Flüchtlinge.Die Wagen wurden bis zur äußersten Belastungsgrenze beladen.Die gemeinsame Reise im Treck versprach mehr Sicherheit.Der eisige Winter im Jahr 1945 kostete tausenden Flüchtlingen das Leben.Sowjetische Tiefflieger waren während der Flucht über das zugefrorene Haff eine ständige Bedrohung.Kurze Verschnaufpause in der StadtDie älteren Familienmitglieder waren besonders hilfsbedürftigWer Glück hatte, erwischte einen der letzten Züge.Die Kindheit endete abrupt.Viele Kinder verloren ihre Eltern.Ohne Transportmittel konnte man nur das Nötigste mitnehmen.Besonders die älteren Menschen litten unter dem Verlust der Heimat.Hauptfluchtwege über die Ostsee.Die Häfen waren die letzte Rettung.Die Schiffe waren hoffnungslos überladen.Die Torpedierung der 'Wilhelm Gustloff' forderte über 9000 MenschenlebenWährend der 'wilden' Vertreibungen hatte die Bevölkerung oft keine halbe Stunde Zeit, die Sachen zu packen.Sammeln zum Abtransport.Die Vertriebenen wurden ohne Rücksicht in die Waggons gepfercht.Für viele ankommende Flüchtlinge und Vertriebene waren die sog. 'Nissenhütten' die ersten Jahre das neue Zuhause.In diesen Notunterkünften versuchte man sich so gut wie möglich einzurichten.Wenn man auch froh war, mit dem Leben davongekommen zu sein - die Heimat war für immer verloren.Verhältnis Einheimische/Flüchtlinge 1950

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